Diagnostik, Behandlungsoptionen sowie Grenzen einer Korrektur
Operative Korrekturen von Planovalgusdeformitäten nach Wachstumsabschluss kommen bei vier Patientengruppen in Betracht: Jugendliche mit schweren flexiblen Deformitäten, bei denen eine Wachstumslenkung durch Arthrorise nicht mehr möglich erscheint, Patienten mit tarsaler Coalitio und rigider Planovalgus-Deformität, junge sportlich- aktive Patienten mit belastungsabhängigen Beschwerden ohne Begleit-Pathologie und die große Gruppe der meist älteren Patienten, bei denen progrediente Weichteilschäden der passiven und aktiven tarsalen Stabilisatoren bereits eingetreten sind (Adult aquired flatfoot deformity, AAFD). Bei allen genannten Patientengruppen ist eine knöcherne Stellungskorrektur erforderlich, bei der Gruppe der Coalitio-Patienten zusätzlich eine Resektion der Knochenbrücke und bei bereits eingetretener Weichteil-Schädigung eine Rekonstruktion soweit möglich. Fast alle Patienten weisen zudem eine behandlungsbedürftige Wadenmuskel-Verkürzung auf.
Die klinische Diagnostik umfasst die Untersuchung auf Wadenmuskelverkürzung und Rigidität der Tarsalgelenke und erlaubt die Beurteilung der Rückfuß-Valgus- Komponente (Frontal-Ebene) und der Funktion der Tibialis-posterior-Muskel-Sehnen-Einheit. Eine Röntgenaufnahme unter Belastung des Fußes im entspannten Beidbeinstand im dorsoplantaren und seitlichen Strahlengang zeigt das Ausmaß der Mittel-Vorfuß- Abduktion (Transversal-Ebene) und der Instabilität beziehungsweise Deformität des medialen Tarso- Metatarsal-Strahles (Sagittal-Ebene). Anhand des TMT-Index, der aus bei- den Aufnahmen ermittelt werden kann, ist eine für praktische Zwecke sehr brauchbare Quantifizierung der Gesamt-Deformität möglich. Sonographie, MRT oder CT können nähere Aussagen zum Zustand der Weichteil- Schädigung im medialen Tarsalbereich liefern, beziehungsweise dienen der näheren Erfassung einer tarsalen Coalitio.
Tarsale Osteotomien
In der Literatur finden sich zahlreiche Vorschläge zur gelenkerhaltenden Stellungskorrektur durch tarsale Osteotomien. Bewährt haben sich besonders zwei Prozeduren:
- Bei ganz überwiegend auf die Frontalebene beschränkter Deformität insbesondere im frühen Stadium II des Erwachsenen-Plattfußes ist eine medialisierende Calcaneus-Verschiebe-Osteotomie im Verbund mit weichteil-rekonstruktiven Maßnahmen aus- reichend. Die Osteotomie verbessert den Wirkungsgrad der Tibialis-posterior-Muskel-Sehnen-Einheit erheblich.
- Bei dreidimensionalen Deformitäten mit zusätzlich deutlicher Mittel-Vorfuß-Abduktion und Desta- bilisierung des medialen Tarso- Metatarsal-Strahles hat sich die Tarsale-Triple-Osteotomie (TTO) sehr bewährt (Abb. 1). Sie besteht aus einer moderaten Calcaneus-Verlängerungs- Osteotomie mit Hauptwirkung in der Transversal-Ebene (Mittel-Vorfuß- Abduktion). Die verbleibende Rück- fuß-Valgus-Komponente (Frontal- Ebene) wird danach durch eine Calcaneus-Verschiebe-Osteotomie vollständig korrigiert. Fast alle aus- geprägten Planovalgus-Deformitäten zeigen danach noch eine deutliche supinatorische Fehlstellung des Mittel-Vorfuß-Abschnittes im Sinne einer Elevation des medialen Tarso-Metatarsal-Strahles, die durch eine additive Osteotomie von Cuneiforme mediale und intermedium behoben wird (Sagittal-Ebene). Diese drei Osteotomien verhalten sich zueinander komplementär, das heißt, sie ergänzen sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Hauptwirkung. In dieser Kombination ermöglichen sie eine vollständige Korrektur aller Komponenten der Deformität (Abb. 2) unter Vermeidung der Nachteile zum Beispiel einer über- mäßigen, singulär ausgeführten Calcaneus-Verlängerungs-Osteotomie.
Weichteil-Rekonstruktion
Rekonstruktive Maßnahmen an den weichteiligen Stabilisatoren des Rück- fußkomplexes sind nur bei Patienten mit entsprechenden Weichteilschäden (AAFD) erforderlich. Die Sehne des M. tibialis posterior sollte durch Nahtversorgung, Teilresektion, gegebnenfalls Verkürzung und Tenosynovektomie behandelt werden, wenn der Schädi- gungsgrad dies noch zulässt. In jedem Fall ist eine Augmentierung mit Flexor-digitorum-longus-Sehne ratsam. Die Notwendigkeit eines FDL-Trans- fers wird in letzter Zeit infrage gestellt, seine hohe Wirksamkeit zeigt sich jedoch besonders bei Patienten, bei denen eine Rekonstruktion der Tibialis-posterior-Sehne nicht mehr möglich war. Die sehr kräftige und als passiver Stabilisator besonders wichtige talonaviculare Kapsel sollte wann immer möglich unter Verwendung kräftiger nicht resorbierbarer Nähte rekonstruiert werden. Ist dies technisch bei ausgedehnten Defekten nicht möglich, so stellt dies ein Argument gegen ein rein gelenkerhaltendes Vor- gehen dar. Zur Unterstützung der weichteilrekonstruktiven Maßnahmen setzen viele Operateure Sinustarsi- Spacer ein, die jedoch nicht immer beschwerdefrei toleriert werden.
Wadenmuskel-Verlängerung
Fast alle Patienten aus oben genannten Gruppen weisen eine Verkürzung der Wadenmuskulatur auf. Im Zweifel sollte auf eine intramuskuläre Gastrocnemius-Verlängerung nicht verzichtet werden. In besonders schweren Fällen sind die Nachteile einer offenen Achillessehnenverlängerung in Kauf zu nehmen. Auch die Kombination aus Gastrocnemius-Rezession und einer perkutanen Achillessehnenverlängerung ist in manchen Fällen zu erwägen.
Grenzen der Korrektur
Die TTO erlaubt eine gelenkerhaltende Korrektur auch ausgeprägter Fehlstellungen, sofern keine degenerativen Veränderungen oder nicht resektable Coalitiones vorbestehen. Extrem ausgeprägte Deformitäten, hochgradige Instabilitäten oder Rigiditäten und nicht rekonstruierbare Weichteilschäden können jedoch versteifende Maß- nahmen erfordern. Hier kommen sowohl isolierte Arthrodesen etwa der Naviculo-Cuneiforme-Gelenklinie in Verbindung mit einer Calcaneus-Doppel-Osteotomie in Betracht, aber auch die Triple-Arthrodese als Goldstandard der versteifenden Rückfuß-Korrektur, die in ihrem stabilisierenden Effekt der Double-Arthrodese von Talonavicular- und Calcaneocuboid- Gelenk überlegen ist.
Autor:
Prof. Dr. med. Johannes Hamel
Zentrum für Fuß und Sprunggelenk
OZA Arabellapark
Englschalkingerstr. 12
81925 München
E-Mail: J.Hamel@t-online.de
www.professor-hamel.de
Quelle:
ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 06.2016 | FUß SPECIAL – BIERMANN MEDIZIN, www.biermann-medizin.de
Abb. 1: Dreidimensionale gelenkerhaltende Korrektur der Planovalgus-Deformität durch Tarsale-Triple-Osteotomie (TTO).
Abb. 2: Vor und nach Tarsaler-Triple-Osteotomie (TTO).