Prof. Dr. Ulrich Hegerl · Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Stiftung Deutsche Depressionshilfe | 02.11.2011 15:49

Leipzig, 2. November 2011 – Über zahlreiche Titelstories, Leitartikel, Buchpublikationen und Fernsehsendungen hat sich der Begriff Burnout zu einem der Modeworte des Jahres emporgeschwungen. Selbsternannte „Burnout-Kliniken“ springen auf den Zug auf und hoffen auf eine Klientel von Managern mit Privatversicherung. Unternehmen führen betriebsinterne gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Stressreduktion ein, um dem „Burnout“ und auch damit verbundenen Produktivitätsverlusten vorzubeugen. Auch wenn zu begrüßen ist, dass hierdurch die große Bedeutung psychischer Erkrankungen deutlicher und die diesbezügliche Sensibilität erhöht wird, so wird der inflationäre Gebrauch des schwammigen Begriffs Burnout von vielen Betroffenen und Experten aus mehreren Gründen als verwirrungstiftend, irreführend und längerfristig stigmaverstärkend eingeschätzt:

1. Der Begriff Burnout ist nicht klar definiert und in den maßgeblichen internationalen Klassifikationssystemen gibt es keine Diagnose Burnout. Entsprechend liegen für die bunten psychischen Störungen, die alle unter Burnout zusammengefasst werden, auch keine Behandlungen mit Wirksamkeitsbelegen aus methodisch guten Studien vor.

2. Ein Großteil der Menschen, die wegen „Burnout“ eine längere Auszeit nehmen, leidet defacto schlicht an einer depressiven Erkrankung. Alle für die Diagnose einer Depression nötigen Krankheitszeichen liegen vor, wozu immer auch das Gefühl tiefer Erschöpftheit gehört.

3. Wird Burnout als weniger stigmatisierende alternative Bezeichnung zu Depression verwendet, so wäre dies akzeptabel. Problematisch und nicht selten in gefährlicher Weise irreführend ist jedoch, dass der Begriff eine Selbstüberforderung oder Überforderung von außen als Ursache suggeriert. Auch wenn ausnahmslos jede Depression mit dem tiefen Gefühl der Erschöpftheit einhergeht, ist jedoch nur bei einer Minderheit der depressiv Erkrankten eine tatsächliche Überforderung der Auslöser der Erkrankung. Viele depressive Episoden werden durch Verlusterlebnisse, Partnerschaftskonflikte, durch eher positive Veränderungen im Lebensgefüge, wie Urlaubsantritt, Beförderung, Umzug, etc. getriggert und bei zahlreichen Menschen mit einer depressiven Episode ist beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser festzustellen. Viele depressiv Erkrankte fühlen sich in einer schweren depressiven Episode zu erschöpft, um ihrer Arbeit nachzugehen, ja um sich selbst zu versorgen; nach erfolgreicher Behandlung und Abklingen der Depression empfinden sie die zuvor als völlige Überforderung wahrgenommene berufliche Tätigkeit wieder als befriedigenden und sinnvollen Teil ihres Lebens. Wäre Burnout oder gar Depression in erster Linie Folge einer beruflichen Überforderung, so sollte diese Erkrankung in Hochleistungsbereichen – sei es im Sport oder sonstigen Bereichen – häufiger sein als bei Rentnern, Studenten oder Nicht-Berufstätigen. Eher das Gegenteil ist jedoch der Fall.

4. Mit dem Begriff Burnout ist die Vorstellung verbunden, dass langsamer treten, länger schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien sind. Verbirgt sich hinter diesem Begriff eine depressive Erkrankung, so sind dies jedoch oft keine empfehlenswerten und oft sogar gefährliche Gegenmaßnahmen. Menschen mit depressiven Erkrankungen reagieren auf längeren Schlaf und eine längere Bettzeit nicht selten mit Zunahme der Erschöpftheit und Stimmungsverschlechterung. Dagegen ist Schlafentzug eine etablierte antidepressive Behandlung bei stationärer Behandlung. Dies ist sehr gut belegt und für die Betroffenen überraschend, da diese nichts mehr als den sehnlichsten Wunsch haben, endlich tief zu schlafen und am Morgen erholt aufzuwachen. Beim Schlafentzug wird den Patienten empfohlen, die zweite Nachthälfte wach zu bleiben. Die Patienten verspüren dann in der Mehrzahl eine deutliche Besserung und oft völliges Abklingen der depressiven Krankheitszeichen. Diese Besserung hält jedoch nur bis zum nächsten Schlaf an. Trotzdem ist für viele depressive Erkrankte der Schlafentzug ein positives Zeichen, da allein hierdurch die als unveränderlich erlebte depressive Verstimmung durchbrochen werden kann. Sehr viele depressive Erkrankte merken auch, dass mit Dauer des Wachseins, d.h. gegen Abend, die Erschöpftheit nicht zu- sondern eher abnimmt und sich auch die Stimmung besser als morgens ist. Auch ist Urlaubsantritt etwas, was jedem depressiv Erkrankten dringend abgeraten wird, da die Depression mitreist und der eigene Zustand mit Antriebsstörung und der Unfähigkeit, irgendeine Freude zu empfinden, im Urlaub in fremder Umgebung besonders bedrückend und schmerzlich erlebt wird. Ob eine Krankschreibung, die bei schweren Depressionen unvermeidlich ist, auch bei Betroffenen mit leichteren Depressionen sinnvoll ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Es gibt nicht wenige depressiv Erkrankte, die als besonders belastend erleben, wenn sie nach der Krankschreibung grübelnd zu Hause im Bett liegen. Manche Betriebe haben die Möglichkeit das Arbeitspensum während der depressiven Episode deutlich zu reduzieren, den Betroffenen aber zu ermöglichen, zur Arbeit zu kommen, sodass dieser durch den strukturierten Arbeitsrhythmus und Einbindung in Arbeitsabläufe Halt und Tagesstruktur erfährt.

5. Eine Vermengung von Stress, Burnout und Depression führt zu einer Verharmlosung der Depression. Stress, gelegentliche Überforderungen, Trauer sind Teil des oft auch bitteren und schwierigen Lebens und müssen nicht medizinisch behandelt werden. Depression dagegen ist eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung, die sich wesentlich von dem Gefühl der Erschöpftheit unterscheidet, dass wohl jeder Mensch bisweilen morgens vor dem Aufstehen und auch nach einem langen Arbeitstag kennt. Die Verharmlosung der Depression verstärkt das Unverständnis gegenüber depressiv Erkrankten und das damit assoziierte Stigma. Der beste Weg zu einem optimalen Umgang mit der Erkrankung Depression ist es eine Depression auch Depression zu nennen.

Prof. Dr. Ulrich Hegerl
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe

Pressemeldung: http://idw-online.de/de/news448928